Fachtexte für die Doktorarbeit effizient lesen: Wie du mit der richtigen Lesemethode jeden Text schnell und optimal nutzen kannst

Das Lesen von Fachtexten ist eine der Hauptaufgaben beim Promovieren. Nicht selten verbringen Doktorand*innen mehrere Monate nur mit dem Lesen des Forschungsstandes. Wie du verhindern kannst, dass du dich im Literaturdschungel verzettelst, und deine Lesezeit optimal nutzt, zeige ich dir in diesem Beitrag.

Texte lesen für die Doktorarbeit

Texte in vier Schritten bearbeiten

Eine bekannte Lesemethode ist die sogenannte SQ3R-Lesemethode. Hinter den Buchstaben verbergen sich die fünf Schritte Survey, Question, Read, Recite und Review (also Überblick, Fragen, Lesen, Wiedergeben, Rückblick). Hiervon gibt es Abwandlungen und Weiterentwicklungen, die sich dann SQ4R- und PQ4R-Methode nennen und sogar aus sechs Schritten bestehen (hinzu kommt als viertes R der Schritt Reflect).

Keine Angst, ich möchte hier nicht mit Buchstaben jonglieren, sondern dir auf Basis dieser etablierten Lesemethoden ein einfaches System mit vier Schritten vermitteln, das mir geholfen hat, Fachtexte schnell und zielführend für meine Doktorarbeit zu lesen, auszuwerten und einzuarbeiten.

Schritt 1: Überblick gewinnen

Alle der genannten Lesemethoden beinhalten als ersten Schritt den Überblick über einen Text (S wie Survey oder auch P wie Preview). Und das ist auch sinnvoll, denn zunächst brauchst du einen Überblick darüber, was dir der Text für deine Doktorarbeit überhaupt bieten kann.



Um einen Überblick zu bekommen, liest du am besten das Abstract, wenn eines vorhanden ist, überfliegst die Gliederung und liest eventuell noch in die Einleitung und die Conclusion bzw. den Schlussteil rein.

Wenn du dir nach diesem Schritt nicht ganz sicher bist, ob der Text tatsächlich für deine Dissertation relevant ist, dann lass es gleich und verschwende keine weitere Zeit.

Vielleicht wird der Text zu einem späteren Zeitpunkt noch wichtig für deine Arbeit, vielleicht aber auch nicht. Es gibt so viel Forschungsliteratur zu bearbeiten, dass du dich zunächst auf das konzentrieren solltest, was du als hochrelevant für deine Arbeit einschätzt. 

Schritt 2: Leseziel festlegen

Nachdem du einen groben Überblick über den Text gewonnen hast und dir sicher bist, dass er für deine Dissertation wichtig ist, geht es mit Schritt 2 weiter: du musst dein Leseziel festlegen.

In den genannten Lesemethoden mit den vielen Buchstaben findet sich dieser Schritt unter Q wie Questions. Du sollst also Fragen an den Text stellen.

Das Wichtigste hierbei ist: Konzentriere dich auf das Wesentliche! Und mit “das Wesentliche” meine ich nicht die Kernaussage eines Textes, sondern das, was du in diesem Moment für deine Doktorarbeit brauchst.

Das kann zum Beispiel sein:

  • Ein Überblick über die Autorinnen und Autoren, die zu einem bestimmten Thema von der wissenschaftlichen Community immer wieder zitiert werden,

  • eine Idee, wie das Design eines deiner Experimente aussehen könnte,

  • die Definition von einem Fachbegriff,

  • die Argumentationslinie, die die Autorin des Textes  zu ihrer These führt.

Fragen, die du an einen Text stellst, könnten also lauten:

  • Was sind die Standardwerke zu Thema X? / Welche Autorinnen und Autoren werden üblicherweise zitiert?

  • Wie kann ein sinnvolles Experiment zu Thema Y aussehen?

  • Wie definiert der Autor den Fachbegriff Z?

  • Welche Argumente führen die Autorin zu ihrer These?

Die Antwort auf deine Frage zu bekommen, ist dann dein persönliches Leseziel.

Übrigens ist es ganz normal, wenn du Fachtexte während deiner Promotionszeit mehrfach bearbeitest. Zu Beginn deiner Arbeit an der Dissertation geht es dir vielleicht vor allem um einen Überblick über einen Themenbereich, während du später mit ganz detaillierten Fragen an einen Text herangehst.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich sehr lohnen kann, Texte, die man zu Beginn der Promotion gelesen hat, später noch einmal anzuschauen – es ist erstaunlich, wie viel mehr man dann aus diesen Texten ziehen kann, weil die eigenen Gedanken schon so viel ausgereifter und die Fragen an den Text viel spezifischer sind.

Schritt 3: (dem Leseziel entsprechend) Lesen

Wie du an der obigen Aufzählung möglicher Fragen an den Text siehst, kann ein Leseziel sehr unterschiedlich sein.

Das heißt auch: Was für dich gerade das Wesentliche ist, entscheidet darüber, wie du mit dem Fachtext weiter umgehen solltest. Denn Lesen ist nicht gleich Lesen.

Ich persönlich halte nichts davon, alle Texte, die du dir für die Doktorarbeit vornimmst, gleich ausführlich zu bearbeiten und möglicherweise sogar zu jedem Text seitenlange Exzerpte anzufertigen – das würde enorm viel Zeit kosten und ist auch nicht zielführend.

An dieser Stelle orientieren wir uns deshalb nicht weiter an den Lesemethoden mit den vielen Buchstaben  (die schlagen nämlich ein immer gleiches und ziemlich aufwendiges Vorgehen vor, bei dem man Abschnitte zusammenfassen soll, darüber nachdenkt usw.).

Um zum Beispiel einen Überblick über die Standardliteratur zu einem bestimmten Thema zu bekommen, reicht es völlig, einen Blick in den Teil zum Stand der Forschung zu werfen.

Möchtest du aber eine Argumentationslinie genau nachvollziehen, weil du diese in deiner Doktorarbeit wiedergeben möchtest, dann musst du einen Text natürlich sehr viel gründlicher und detaillierter lesen.

Überlege dir also VOR dem Lesen, welche Teile eines Textes du wirklich gründlich und besonders aufmerksam lesen solltest und welche du eventuell nur kurz überfliegst.

Schritt 4: Schriftlich festhalten

Durch Schreiben fixieren wir das Gelesene und verknüpfen es mit unseren eigenen Gedanken und Ideen. Du solltest einen Text nie nur lesen, sondern immer etwas schriftlich daraus für deine Doktorarbeit mitnehmen.

Dieser vierte Schritt muss nicht zwangsläufig nach dem Lesen kommen – häufig kann man auch während des Lesens schon schreiben.

Was und auch wie du schreibst, hängt völlig von deinem Leseziel ab. Hier kommen ein paar Beispiele:

  • Leseziel “Überblick über wichtige Autor*innen“: Die Namen und Literaturtitel kannst du dir in deiner Literaturübersicht notieren (z. B. in einem Literaturverwaltungsprogramm wie Citavi oder Mendeley).

  • Leseziel “Design eines Experiments“: Wenn du gerade erst angefangen hast, deine empirische Untersuchung zu planen, notierst du dir eventuell nur handschriftlich ein paar Stichpunkte in einem Notizbuch oder machst ein paar Notizen in einem word-Dokument.

  • Leseziel “Definition eines Fachbegriffs“: Die gesuchte Definition kannst du direkt in deine Doktorarbeit in das Kapitel schreiben, in dem du den Begriff einführst.

  • Leseziel “Argumentationslinie durchdringen“: Um einen gesamten Text durchzuarbeiten und die Argumentationslinie genau zu verstehen, kannst du zum Beispiel den “roten Faden” des Textes in Stichpunkten notieren. Hierzu kannst du die Kernaussagen einzelner Abschnitte herausarbeiten und diese in ihrer logischen Reihenfolge aufschreiben.

Wichtig ist immer: Notiere dir bei allem die genaue Literaturangabe inklusive der Seitenzahlen.

Zusatzschritt: Flexibel bleiben

Es wird immer wieder vorkommen, dass dir beim Lesen eines Textes – trotz aller Vorbereitung und zielführendem Lesen – plötzlich ganz neue Fragen in den Sinn kommen. Und das ist super!

Vielleicht wolltest du nur einen Überblick über die Standardwerke zu einem bestimmten Thema bekommen und stößt dabei aber auf einen ganz neuen Aspekt, der deine Neugierde weckt, weil du eine Verbindung zu einem Problem in deiner Dissertation siehst.

Perfekt!

Das ist natürlich hochrelevant für deine Arbeit und damit wert, dass du dein Leseziel anpasst, um dieser interessanten Sache nachzugehen.

Wie bei vielen Dingen kommt es auch hier auf die richtige Balance an: Ein geplantes und zielführendes Vorgehen ist wichtig, damit du dich nicht verzettelst, sondern die Forschungsliteratur effizient bearbeiten kannst. Gleichzeitig solltest du aber natürlich offen bleiben für das, was dir im Text begegnet und dich möglicherweise zu brillanten Gedanken in deiner Doktorarbeit inspiriert.

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