Mit der Doktorarbeit anfangen: Wie dir die Zero Draft-Methode hilft, ins Schreiben zu kommen

In den Schreibprozess zu starten und die eigenen Gedanken für die Dissertation auf Papier zu bringen, fällt vielen Doktorand*innen schwer. In diesem Blogbeitrag zeige ich dir, wie du mit der Zero Draft-Methode diese Hürde meistern kannst, in den Schreibflow kommst und deine Doktorarbeit produktiv voranbringst.

Mit der Doktorarbeit anfangen

Warum das Anfangen so schwierig ist

Dein Promotionsthema ist klar fixiert, deine Fragestellungen auf den Punkt gebracht, über die Forschungsliteratur hast du schon einen guten Überblick, vielleicht hast du auch schon Ergebnisse von ersten Analysen vorliegen – und nun willst du anfangen, deine Dissertation zu schreiben?

Du öffnest ein neues word-Dokument, das Blatt ist weiß, der Cursor blinkt – und jetzt? Erstmal groß “Dissertation“ oben drüber schreiben. Vielleicht auch die ersten Überschriften für Kapitel, die du auf jeden Fall brauchst – das sieht schon einmal ganz gut aus.

Und nun?

Das Blatt ist immer noch ziemlich weiß und der Cursor blinkt weiter.

Dir wird klar, dass das, was du jetzt schreiben wirst, deine Doktorarbeit ist. Dein Beitrag zur Forschung; auf einer Ebene mit den klugen, eloquenten und stilistisch einwandfreien Fachaufsätzen, die du gelesen hast.

Puh, ganz schön viel Druck!

Vielleicht, denkst du, bist du doch noch nicht bereit fürs Schreiben.

Vielleicht solltest du doch erst noch mehr Fachliteratur lesen.

Vielleicht sind deine Gedanken einfach noch nicht gut genug, um aufgeschrieben zu werden.

Vielleicht solltest du zunächst deine Gliederung weiter planen und vielleicht wäre es auch besser, erstmal genau zu überlegen, wie die Abbildungsbeschriftungen überhaupt aussehen sollen… .

Den ersten Schritt zu wagen und anzufangen mit dem, was einmal deine Doktorarbeit wird, kann ganz schön herausfordernd sein.

Und du bist in guter Gesellschaft, wenn du nicht so richtig weißt, wie du den Einstieg in das Schreiben finden sollst.

Vielen Doktorand*innen geht es so.

Sie lesen und lesen.

Sie planen das Inhaltsverzeichnis ihrer Dissertation.

Sie denken über den perfekten Zitationsstil nach.

Sie verbringen Tage damit, das Layout ihres Textdokuments zu gestalten.

Wenn es aber darum geht, den Platz zwischen dem perfekten Layout zu füllen, verlässt viele der Mut.

Geht es dir auch so?

Ich hatte so ein perfekt formatiertes word-Dokument ohne Inhalt und lange Zeit das Gefühl, ich muss erst noch diesen oder jenen Aufsatz lesen, bevor ich meine Doktorarbeit endlich schreiben kann.

Wenn es dir auch so geht, dann kommt hier meine wahrscheinlich wichtigste Botschaft an dich:

Niemand schreibt aus dem Stehgreif inhaltlich brillante und perfekt formulierte wissenschaftliche Texte!

So funktioniert wissenschaftliches Schreiben einfach nicht.

Beim Schreibprozess nähern wir uns in kleinen Schritten – dem Inhalt, der Struktur, der Form und der Sprache.

Und gerade ein wissenschaftlicher Text vom Ausmaß einer Doktorarbeit erfordert ein ziemlich kleinschrittiges Vorgehen. Denn eine Dissertation zu schreiben ist ganz schön anspruchsvoll:

Der Inhalt ist sehr komplex, die Struktur muss gut durchdacht sein, die Leserführung funktionieren, Sprache und Stil müssen angemessen sein, das Layout stimmen.

Und dann wären da noch die vielen formalen Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten wie beispielsweise das richtige Zitieren – und das alles über circa 250 bis 300 Seiten.

Aber das Gute ist: Du musst nicht alles gleichzeitig machen!



Die 6 Phasen des Schreibprozesses

In meinem Blogbeitrag Wie schreibt man eine Doktorarbeit? In 6 Phasen von der Idee zur fertigen Dissertation habe ich ausführlich beschrieben, in welche Phasen sich der Schreibprozess einer Dissertation üblicherweise gliedert. Wenn du kumulativ promovierst, durchläufst du die sechs Phasen für jedes einzelne Paper.

Hier gebe ich dir einen kurzen Überblick über die einzelnen Phasen:

Phase 1: Orientieren

In dieser ersten Phase findest du dein Promotionsthema, konkretisierst es, liest dich in dein Thema ein, schreibst eventuell dein Exposé und planst dein Forschungsprojekt.

Phase 2: Material sammeln und bearbeiten

In dieser zweiten Phase sammelst und bearbeitest du alles, was du für dein Forschungsvorhaben brauchst.

Das ist zum einen die Forschungsliteratur (also die Forschungsergebnisse von anderen). Zum anderen sind das deine eigenen Forschungsergebnisse. In dieser Phase findet also deine Forschung statt.

Phase 3: Material strukturieren

Wenn du einen Großteil des Materials, das du für dein Forschungsvorhaben benötigst, beisammen hast, geht es ans Strukturieren.

Du findest deinen roten Faden und sortierst die Forschungsergebnisse der anderen und deine eigenen Ergebnisse (sowie Ideen und Gedanken), sodass du die Story deiner Dissertation (oder deines Papers, wenn du kumulativ promovierst) findest.

Phase 4: Rohfassung schreiben

In dieser vierten Phase geht es ans Schreiben deiner Rohfassung. Es geht noch nicht darum, einen druckreifen Text zu produzieren, sondern erstmal nur darum, eine noch sehr unvollkommene Version deiner Story zu schreiben.

Phase 5: Doktorarbeit überarbeiten

Danach überarbeitest du deine Rohfassung in mehreren Durchläufen, sodass du dich dem vorzeigbaren Endprodukt immer weiter näherst. Du überarbeitest deine Inhalte, du verfeinerst deine Struktur und du verbesserst deinen Stil.

Phase 6: Doktorarbeit korrigieren und editieren

In dieser letzten Phase des Schreibprozesses korrigierst und editierst du deinen Text. Du verpasst ihm den letzten Feinschliff, finalisierst das Layout und prüfst die Rechtschreibung sowie Zeichensetzung.

Sich von Perfektionismus verabschieden

Wie du oben gesehen hast, passieren ziemlich viele einzelne Arbeitsschritte zwischen dem Anfang des Schreibprozesses und dem druckreifen Text am Ende.

Eine Dissertation (oder ein Paper) zu schreiben ist also ein Prozess, bei dem der gut strukturierte, stilistisch überzeugende, formal einwandfreie und leserfreundliche Text erst ganz am Ende steht.

Auch die perfekten Fachaufsätze, die du liest, waren sehr wahrscheinlich einmal ein ganz großes Chaos.

Für deinen Start in den Schreibprozess ist es deshalb hilfreich, wenn du dich als erstes von jeglichem Perfektionismus verabschiedest.

Wenn du mit dem Schreiben beginnst, ist dein Ziel nicht, einen vorzeigbaren Text zu produzieren.

Nein, dein erstes Ziel ist es, deine Inhalte, deine Gedanken zur Forschungsliteratur, die Forschungsergebnisse von anderen, deine eigenen Forschungsergebnisse und deine Ideen schriftlich festzuhalten, um sie später

  • …zu sortieren und zu strukturieren (Phase 3),

  • …in eine Rohfassung zu bringen (Phase 4),

  • …zu überarbeiten (Phase 5)

  • …und ihnen den Feinschliff zu verpassen (Phase 6).

Vielleicht hast du jetzt gestutzt, weil du dachtest, dass du eigentlich mit deiner Rohfassung (Phase 4) ins Schreiben startest.

Tatsächlich solltest du aber schon viel früher mit dem Schreiben beginnen.

Das erste Ziel beim Start in den Schreibprozess ist nicht deine Rohfassung, sondern ganz bewusst und mit Absicht Chaos zu produzieren.


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Warum du zunächst gezielt Chaos produzieren solltest

Diese “Chaos-Herangehensweise” an das Schreiben wissenschaftlicher Texte hat zwei große Vorteile:

Vorteil #1: Überblick gewinnen

Es hört sich zunächst paradox an, dass du mit der “Chaos-Herangehensweise” einen guten Überblick gewinnen kannst.

Aber eine Doktorarbeit zu schreiben ist ein bisschen so, wie wenn man seinen Kleiderschrank sortiert und ausmistet.

Am besten funktioniert es, wenn man erstmal alle Kleidungsstücke auf dem Bett ausbreitet. Dann hat man ganz genau vor Augen, was überhaupt alles zum Inhalt des Kleiderschrankes gehört.

Wenn man stattdessen nur darüber nachdenken würde, was alles im Kleiderschrank ist, vergisst man garantiert die Bluse, die nur zu ganz besonderen Anlässen angezogen wird, oder weiß nicht so ganz genau, wie viele Paar Socken man überhaupt besitzt.

Wenn du erstmal alles vor dir ausbreitest, hast du zwar ein ziemliches Chaos, aber kannst einen guten Überblick bekommen und von dort aus sortieren und auch bewerten, was bleiben soll, wo es bleiben soll und was wegkommt.

Danach geht es ans Einräumen: Wo sollen die T-Shirts im Kleiderschrank liegen und wo die Pullover?

Du verleihst dem Chaos nach und nach Struktur und hast am Ende einen ordentlichen Kleiderschrank, in dem genau das ist, was du haben möchtest, und zwar an dem Ort, wo du es haben möchtest.

Vorteil #2: Niedrigschwellig starten

Wenn du dir ganz bewusst vornimmst, keinen druckreifen Text zu schreiben, sondern ganz bewusst Chaos zu produzieren, nimmst du viel Druck raus.

Alles, was du schreibst, ist erstmal nur vorläufig.

Alles, was du schreibst, wird sowieso noch überarbeitet.

Alles, was du schreibst, wird wahrscheinlich niemals jemand in dieser Form sehen.

Du kannst dich einfach ausprobieren. Deine Ideen und deine Gedanken ausprobieren.

Für viele Promovierende ist dieser Ansatz ein Game-Changer im Schreibprozess, der nicht nur dazu führt, dass sie sich endlich nicht mehr von Perfektionismus zurückhalten lassen, sondern auch viel kreativer arbeiten können.

Wer seinen Gedanken und Ideen unzensiert folgen darf, kann wirklich innovativ arbeiten.

Ins Schreiben kommen mit der Zero Draft-Methode

Wie genau lässt sich diese “Chaos-Herangehensweise” nun umsetzen?

In ihrem sehr lesenswerten Buch Writing your Dissertation in Fifteen Minutes a Day stellt Joan Bolker die Zero Draft-Methode (‘Null-Entwurf‘-Methode) vor.

Dein Zero Draft ist der Inhalt deines Kleiderschrankes auf dem Bett – der erste Schritt (noch vor deiner Rohfassung), unsortiert und chaotisch, aber relativ einfach zu erstellen und ein guter Ausgangspunkt, um weiterzuarbeiten.

Ein Zero Draft kann tatsächlich sehr unterschiedlich aussehen.

Joan Bolker ist ein großer Fan der fokussierten Freewriting-Methode, bei der man zu einem bestimmten Thema ohne anzuhalten, ohne auf Rechtschreibung, Satzbau und Wissenschaftssprache zu achten und ohne im Text zurückzuschauen einfach alles aufschreibt, was einem gerade so einfällt.

Zum Beispiel könntest du in 10 Minuten darüber schreiben, welche Aspekte deines theoretischen Hintergrunds für deine Dissertation am wichtigsten sind.

Timer stellen und los geht‘s!

Dein Freewriting wird naturgemäß chaotisch sein.

Aber, du hast deine Gedanken schriftlich festgehalten, du hast den Einstieg ins Schreiben geschafft und sehr wahrscheinlich hast du etwas produziert, an dem du später weiterarbeiten kannst.

So wächst nach und nach dein Zero Draft.

Mein persönliches Zero Draft war noch chaotischer: Ich hatte zum Beispiel in einem word-Dokument mit dem Namen “theoretischer Hintergrund“ eine bunte Sammlung an Notizen zur Forschungsliteratur, Freewriting-Absätzen, Stichpunkten, wichtigen Zitaten, Listen von Quellen und Autor*innen, die ich verwenden möchte, Mind-Maps und Ideen für mögliche Gliederungen.

Ich habe versucht, den Inhalt dieses Dokuments über lange Zeit nicht zu bewerten, ihn mir auch so wenig wie möglich anzuschauen, sondern einfach immer weiter zu ergänzen.

Erst als ich das Gefühl hatte, schon einiges an Inhalt produziert zu haben, habe ich mir erlaubt, mein Zero Draft durchzusehen und daran weiterzuarbeiten.

Wann du mit deinem Zero Draft beginnen solltest

Mit deinem Zero Draft solltest du so früh wie möglich beginnen. Am besten direkt in der ersten Phase des Schreibprozesses.

Wenn du einen Fachaufsatz liest, schreib etwas dazu auf.

Wenn du deine Forschung planst, schreib dir deine Gedanken zur Methode und den untersuchten Daten auf.

Wenn du eine gute Idee für deine Gliederung hast, schreib etwas dazu auf.

Wenn du später deine Forschungsergebnisse interpretierst, schreib etwas dazu auf.

Mach dir Notizen zu ALLEM, was du für deine Dissertation liest, denkst, planst, tust.

Egal, ob in Stichpunkten, in Fließtext, in Form einer Mind-Map, auf Post-its, handschriftlich auf einem Blatt Papier oder am Computer – Hauptsache du schreibst.

Fang so früh wie möglich an und bleib in jeder Phase deiner Forschung im Schreiben.

Fazit

Wenn du ein Zero Draft erstellt hast, hast du schon sehr viel, auf dem du aufbauen kannst. Du hast den Einstieg ins Schreiben geschafft und bereits einen wichtigen Teil der Arbeit an deiner Dissertation erledigt.

Du hast deine Gedanken und deine Ideen schriftlich festgehalten, dir Notizen zur Forschungsliteratur und deiner eigenen Forschung gemacht.

Mehr musst du beim Start in den Schreibprozess nicht tun und auch nicht können.

Du brauchst keine perfekte Wissenschaftssprache, keine stichhaltige Argumentationslinie, du brauchst nicht einmal eine genaue Vorstellung davon, wie deine Dissertation mal strukturiert sein soll.

Das alles wirst du zu einem späteren Zeitpunkt noch erarbeiten.

Nach und nach, in kleinen Schritten.

PS: Wenn du genug “Chaos” produziert und dich bereits in die nächsten Phasen des Schreibprozesses vorangearbeitet hast, dann lies gerne hier, wie du die Struktur deiner Doktorarbeit findest, wie du deine Rohfassung schreiben kannst und deine Dissertation am besten überarbeitest.

PPS: Und falls du das Gefühl hast, gerade unter einer waschechten Schreibblockade zu leiden, schau dir gerne meine 33 Wege, mit denen du Schreibblockaden effektiv löst an.

Zum Weiterlesen:

Bolker, Joan (1998): Writing Your Dissertation in Fifteen Minutes a Day. A Guide to Starting, Revising, and Finishing Your Doctoral Thesis. New York: Henry Holt.

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