Warum sich meine Kinder positiv auf meine Promotion ausgewirkt haben
Wenn über das Thema “Promovieren mit Kind(ern)” gesprochen wird, geht es meistens darum, wie man es trotz Kind(ern) schaffen kann, die Dissertation erfolgreich abzuschließen.
Ich nehme mich selbst da gar nicht aus, denn auch in meinem eigenen Blogbeitrag zum Promovieren während der Elternzeit habe ich verschiedene Tipps gegeben, mit denen man es schaffen kann, Doktorarbeit und Baby unter einen Hut zu bekommen.
Dieser Beitrag hier ist etwas anders als die anderen auf meinem Blog, denn ich möchte dieses Mal keine Schreibstrategien vermitteln und keine Tipps geben, wie du trotz Kind(ern) produktiv arbeiten kannst.
Stattdessen möchte ich für einen Perspektivwechsel und mehr Positivität beim Promovieren mit Kind(ern) plädieren.
Promovieren mit Kind – ein Perspektivwechsel
Ja – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein wichtiges Thema für promovierende Eltern.
Und ja – es ist wirklich manchmal ziemlich schwierig, zwischen akademischer Höchstleistung und Windeln wechseln hin- und herzuswitchen.
Manchmal bekommt man bei dem ganzen Vereinbarkeitsthema allerdings den Eindruck, dass Babys und Kinder nur noch als Hindernis angesehen werden, das es zu überwinden gilt, um erfolgreich promovieren zu können.
Und das ist – finde ich – eindeutig zu kurz gedacht.
Ich habe während meiner eigenen Promotionszeit mein erstes Kind bekommen und habe drei Jahre später hochschwanger mit dem zweiten Kind meine Doktorarbeit verteidigt.
Und ich bin der festen Überzeugung, dass sich meine Kinder sehr positiv auf meine Promotion ausgewirkt haben.
Hier kommen meine fünf Gründe dafür.
5 Gründe, warum sich meine Kinder positiv auf meine Promotion ausgewirkt haben
1. Weniger Perfektionismus, mehr Pragmatismus
Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler habe auch ich eine perfektionistische Ader.
Das ist gut, denn in der Wissenschaft muss man ganz genau arbeiten können.
Das ist aber auch manchmal schlecht, wenn es zum Beispiel darum geht, Rohfassungen von Texten zu schreiben oder mit der eigenen Datenerhebung zu beginnen, obwohl man noch sooo viel Forschungsliteratur zu lesen hätte.
Zu viel Perfektionismus kann lähmen, alles verkomplizieren und bewirken, dass man nur im Schneckentempo vorankommt.
Und hier kommen die Kinder ins Spiel.
Denn Eltern werden geht einher mit einem Crashkurs in Pragmatismus.
Als Elternteil hat man nämlich in vielen Situationen schlichtweg keine Zeit mehr, erst einmal alles gründlich zu überlegen und bis ins Detail zu planen.
Nein, man muss einfach handeln.
Das Kleinkind fängt beim Essen an, den Hochstuhl und sich selbst von Kopf bis Fuß mit Joghurt einzucremen?
Nicht lange überlegen – sondern handeln.
Das Baby hat es im Autositz geschafft, die Windel in alle Richtungen zu sprengen?
Nicht lange überlegen – sondern handeln.
Dieser neu erstarkte Pragmatismus hat sich bei mir auch sehr positiv auf meine Arbeit an der Dissertation ausgewirkt.
Von
“das muss ich erstmal alles ganz genau planen“
hat sich mein Motto für die Diss entwickelt zu
“einfach mal ausprobieren und schauen, wo es mich hinführt“.
Einfach mal meine Ideen aufschreiben – auch wenn sie sich noch ziemlich dumm anhören.
Einfach mal mit der Analyse anfangen – auch wenn ich mir noch nicht zu 100% sicher bin, dass alles so funktionieren wird.
Einfach mal das Kapitel meiner Kollegin geben für Feedback – auch wenn ich es selbst noch nicht perfekt finde.
Einfach mal den Stand der Forschung schreiben – auch wenn es noch 1 Million weitere Aufsätze gibt, die ich lesen sollte.
Um es kurz zu machen: Ohne meine Kinder, wäre ich wahrscheinlich noch lange in analysis paralysis geblieben und hätte meine Doktorarbeit nicht so schnell zu Ende geschrieben.
2. Weniger Arbeitszeit, höhere Produktivität
Nachdem mein erstes Kind auf der Welt war, hatte ich natürlich sehr viel weniger ungestörte Arbeitszeit zur Verfügung als vorher.
Während der Elternzeit mit Baby war meine Arbeitszeit sehr, sehr begrenzt (fast inexistent kann man sagen…). Und nach der Elternzeit musste ich mich auch erstmal daran gewöhnen, dass meine Arbeitstage schon am Nachmittag endeten, weil das Kind aus der Krippe abgeholt werden musste.
Wenn ich das Büro verließ, während die Kolleg*innen sich nochmal einen Kaffee für das letzte Drittel des Arbeitstages holten, kam mir häufig der Gedanke, dass ich bei deren Arbeitspensum nun nicht mehr mithalten kann.
Aber: Das Gegenteil war der Fall.
Mit der Zeit stellte sich heraus, dass ich an einem Sechs-Stunden-Arbeitstag genauso viel schaffe wie früher an einem Acht-Stunden-Tag.
Vielleicht sogar mehr – das lässt sich nicht wirklich nachprüfen. ;-) Auf jeden Fall aber nicht weniger.
Die nach hinten begrenzte Arbeitszeit hat bei mir bewirkt, dass ich viel produktiver arbeitete.
Als ich – vor den Kindern – noch einen ganzen Tag, also gefühlt unendlich viel Zeit, zur Verfügung hatte, habe ich mehr Zeit mit nicht wirklich wichtigen Aufgaben verbracht.
Die zeitliche Begrenzung hat mich dazu gezwungen, genau zu überprüfen, was gerade wichtig ist.
Was sollte unbedingt erledigt werden und was nicht?
Wo liegen meine Prioritäten?
Außerdem hatte ich regelmäßig kleine “Arbeitssprints“, die mich gut vorangebracht haben. Wenn der nicht-verhandelbare (weil das Kind abgeholt werden muss) Feierabend näher rückte und ich aber unbedingt noch etwas fertig machen wollte, dann habe ich nochmal alles gegeben und war richtig im Workflow.
3. Weniger Arbeitszeit, mehr Ausgleich
Und noch ein Vorteil hat die begrenzte Arbeitszeit: Nachmittags um 15 Uhr, wenn ich mein Kind aus der Krippe abgeholt habe, begann schon die Freizeit.
Natürlich ist diese Zeit nicht nur “frei“, sondern auch mit verschiedenen eher lästigen Aufgaben (einkaufen, kochen, putzen …) gefüllt. Und natürlich ist der Alltag mit Kind auch manchmal ziemlich stressig und nervig (ich sage nur Trotzphase).
Zur kopflastigen Arbeit an meiner Dissertation war es für mich aber der beste Ausgleich, zum Beispiel nachmittags in der Sonne auf dem Spielplatz zu sitzen.
Oder eine kleine Fahrradtour mit meinem Kind im Anhänger zu machen.
Oder zu Hause mit bunten Malstiften der Kreativität freien Lauf zu lassen.
Oder sich bei Regenwetter mit Büchern zusammen aufs Sofa zu kuscheln.
Und anschließend mit Gummistiefeln in die Pfützen zu springen.
Die Möglichkeiten sind grenzenlos – und alle ein Kontrastprogramm zur Arbeit an der Dissertation.
Während es mir früher schwer fiel, den Kopf wirklich freizukriegen und Abstand von der Arbeit zu gewinnen, war das für mich mit Kind gar kein Problem mehr.
Und mit mehr Ausgleich und Erholungspausen läuft auch die Arbeit wieder besser. :-)
4. Wirklich fertig werden
Meine Doktorarbeit habe ich nicht in meinem aufgeräumten, ruhigen Büro an der Uni zu Ende geschrieben und auch nicht in meinem gemütlichen Arbeitszimmer zu Hause.
Nein, den Endspurt habe ich am Küchentisch absolviert, während meine Tochter hinter mir im Wohnzimmer spielte, malte oder Hörspiele in Dauerschleife hörte.
Es war das Frühjahr 2020 – Beginn der Pandemie, erster Lockdown. Die Welt verunsichert, Kindergärten geschlossen, Großeltern auf Abstand.
Ich bin mir absolut sicher, dass ich meine Dissertation in dieser Situation nicht fertig geschrieben und eingereicht hätte, wenn ich nicht gerade mit meinem zweiten Kind schwanger gewesen wäre.
Es fehlte nicht mehr viel, um endlich fertig zu werden. Und ich wusste, dass ich nach der Geburt erst einige Monate später den Kopf für die Doktorarbeit wieder freihaben würde.
Ich wollte die Promotion deshalb unbedingt noch vor der Geburt abgeschlossen haben.
Und das hieß: Ich musste es so richtig durchziehen, um meine Dissertation rechtzeitig einreichen und verteidigen zu können.
Es war hart, aber es hat geklappt: Fünf Wochen vor der Geburt hielt ich die Promotionsurkunde in den Händen. :-)
Und ich bin kein Einzelfall: Viele (werdende) Eltern werden genau deshalb mit ihrer Doktorarbeit fertig, weil Familien-Nachwuchs auf dem Weg ist.
Dahinter steht ein Phänomen, das ich immer wieder beobachten kann: Wenn man einige Jahre vor sich hin promoviert, muss man irgendwann den Entschluss fassen, fertig zu werden.
Theoretisch könnte man nämlich immer noch mehr für die Doktorarbeit machen – es gibt kein natürliches Ende.
Ohne die bewusste Entscheidung, zu einem bestimmten Termin fertig zu werden, wird man nie fertig.
Und welche Deadline könnte bedeutender sein, als die Geburt des eigenen Kindes? :-)
5. Weniger Druck, mehr Gelassenheit
Als ich anfing zu promovieren, hatte ich zwei Ziele.
Erstens: Die Antworten auf meine Forschungsfragen finden.
Und zweitens: Dafür “summa cum laude“ bekommen.
Und wenn ich ehrlich bin, war mir dieses zweite Ziel ziemlich wichtig. Ich hatte mein Masterstudium mit 1,0 abgeschlossen und wollte dem nun eine herausragende Dissertation anschließen.
Sich hohe Ziele zu stecken, kann anspornen. Bei mir führte es allerdings dazu, dass ich zu viel Druck verspürte, um wirklich kreativ und frei arbeiten zu können.
Bei jedem Satz, den ich schrieb, fragte meine innere Kritikerin mich unweigerlich: “Würde so etwas in einer summa-cum-laude-Doktorarbeit stehen???“
Bei jeder neuen Idee, die mir kam, hörte ich eine leise innere Stimme sagen: “Ist das wirklich klug genug für eine summa-cum-laude-Doktorarbeit???“
Wenn es dir auch so geht, dann schau dir unbedingt meine Beiträge zur Zero Draft-Methode und zum Rohfassung schreiben an, in denen ich dir Strategien zeige, mit denen du leichter ins Schreiben kommst.
Neben alle den hilfreichen Schreibstrategien hatte auch die Geburt meines ersten Kindes einen großen Einfluss darauf, dass es irgendwann mit der Doktorarbeit richtig gut lief.
Es klingt abgedroschen, aber wenn man das eigene Baby im Arm hält, werden ziemlich viele Dinge, die man noch vor kurzem für lebenswichtig gehalten hat, sehr, sehr unwichtig.
Alles relativiert sich.
“Summa cum laude” war mir nicht mehr so wichtig.
In meinem Fall hat dieser reduzierte Druck dazu geführt, dass ich meine Gedanken freier, gelassener, risikofreudiger und mit mehr Spaß aufschreiben konnte.
Und am Ende wurde es dann trotzdem (oder gerade deshalb?) “summa cum laude“. :-)
Fazit
Wenn du gerade ein Baby erwartest, schon ein oder mehrere Kinder hast oder überlegst, ob du wirklich während der Promotionszeit ein Baby bekommen solltest, dann lass dir bloß nicht einreden, dass dein Nachwuchs nur ein Hindernis auf dem Weg zum Doktortitel ist.
Mach dir bewusst, aus welchen Gründen sich dein(e) Kind(er) positiv auf deine Promotion auswirkt bzw. auswirken.
Du kannst als promovierendes Elternteil ruhig selbstbewusst und stolz sein!
Und genieße einfach beides: Promotion und deine Kind(er).