Dissertation: Vom Lesen ins Schreiben kommen

Wer promoviert, muss viel lesen und viel schreiben. Der Übergang vom Lesen zum Schreiben bringt aber einige Herausforderungen mit sich.

In meinen Beratungen sehe ich immer wieder zwei typische Probleme: Erstens, es ist gar nicht so leicht, das Gelesene in den berühmten eigenen Worten wiederzugeben. Und zweitens, es ist ziemlich schwer, das Gelesene so in den eigenen Text einzuarbeiten, dass es zum eigenen roten Faden passt.

In diesem Blogbeitrag erfährst du, was die Ursache von diesen beiden typischen Problemen ist. Und ich erläutere dir, wie du den Übergang vom Lesen zum Schreiben einfacher bewältigen kannst und dabei gleichzeitig die Qualität deines eigenen Textes verbesserst.

Los geht’s!


Der Übergang vom Lesen zum Schreiben

Vielleicht kennst du es ja auch:

Du liest ein Paper, das total relevant ist für deine Dissertation. Du möchtest es unbedingt einarbeiten, aber irgendwie läuft’s nicht so richtig. Dir fällt es schwer, die Aussagen aus dem Paper anders zu formulieren. Denn es wurde ja schon einmal gut formuliert und alles perfekt ausgedrückt.

Und dann versuchst du eventuell hier und da ein paar Wörter zu ersetzen und Sätze umzuschreiben. Alles ein bisschen anders zu formulieren – man möchte ja bloß kein Plagiat haben. Aber so richtig zufrieden bist du nicht mit diesen Umformulierungen. Denn irgendwie macht man es ja doch nur schlechter als das Original.

Oder eine andere Situation:

Du hast bereits ganz viele Fachtexte gelesen und sitzt nun vor deinem eigenen (noch leeren) Textdokument, weil du ein Kapitel zum Stand der Forschung schreiben möchtest.

Aber du weißt nicht so richtig, wie du anfangen sollst.

Vielleicht fühlst du dich blockiert, weil es so viel ist, das du gelesen hast. All diese Informationen musst du nun irgendwie zusammenführen und in den berühmten eigenen Worten wiedergeben.

Aber wie?

Manche Doktorandinnen und Doktoranden kommen dann zwar ins Schreiben, haben aber das Problem, dass sie die Fachtexte, die sie gelesen haben, in ihrem eigenen Text aufzählungsartig aneinanderreihen.

Die Aussagen der verschiedenen Autorinnen und Autoren stehen dann relativ unverbunden nacheinander. Damit hast du zwar alle wichtigen Informationen in deinem Kapitel drin – aber ein richtig guter Text sieht anders aus…

Was ist da los?

Hinter diesen ganzen Problem-Szenarien steht, dass der Übergang vom Lesen zum Schreiben nicht optimal funktioniert

Und es ist ja auch schwierig, keine Frage: Man muss jede Menge komplexe Inhalte aus Fachtexten aufnehmen und diese weiterverarbeiten, sodass sie in den roten Faden der eigenen Dissertation passen. Und so, wie sie für die eigene Dissertation passen, müssen die Inhalte sprachlich wiedergegeben werden.

Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Wodurch es sich viele Promovierende aber schwerer machen, als es sein müsste, erfährst du im nächsten Abschnitt.



Der Knackpunkt: Distanz zum Gelesenen

Ich sehe immer wieder in meinen Beratungen, dass viele Promovierende ihre eigenen Texte schreiben, ohne eine ausreichende Distanz zum Gelesenen zu haben.

Ich habe dafür vollstes Verständnis: Jede und jeder möchte ja möglichst schnell vorankommen mit der Dissertation… und man hat ja auch so unglaublich viele Texte zu lesen und so unglaublich viel zu schreiben.

Dann ist es verlockend, mit einem Fachtext neben sich auf dem Schreibtisch direkt in die Tasten zu hauen, um die Kernaussagen in die eigene Dissertation einzubauen.

Aber ohne eine gewisse Distanz zum Gelesenen kann es eben leicht passieren, dass man versucht, alles mühevoll ein bisschen umzuformulieren, aber man eben nicht die eigenen Worte findet.

Und dadurch kann es auch passieren, dass man verschiedene Fachtexte aneinandergereiht in der Dissertation wiedergibt. Das eigene Kapitel zum Stand der Forschung wird dann zu einer Aufzählung von Aussagen anderer Autorinnen und Autoren. Der eigene rote Faden fehlt.

Du kannst den Übergang vom Lesen zum Schreiben also besser und einfacher gestalten, indem du eine größere Distanz zwischen dich und den Fachtext, den du in deine Dissertation einarbeiten möchtest, bekommst.

Mit Distanz meine ich nicht zeitliche Distanz. Sondern inhaltliche Distanz.

Wie das konkret gehen kann, erfährst du im nächsten Abschnitt.

Wie du dir den Übergang vom Lesen zum Schreiben leichter machen kannst

Um eine größere Distanz zwischen den Fachtext und dich zu bekommen, habe ich nur einen einzigen Tipp für dich. Es ist aber ein wirklich wichtiger Tipp, der das Potential hat, deine Arbeitsweise und die Qualität deiner Dissertation stark zu verbessern.

Er lautet: Bau Zwischenschritte ein.

Klingt erst einmal zeitaufwändig, ich weiß. Aber es lohnt sich – versprochen!

Wie können solche Zwischenschritte konkret aussehen?

Im Folgenden gebe ich dir zwei Beispiele: Tabelle als Zwischenschritt und Concept-Map als Zwischenschritt.

Tabelle als Zwischenschritt

Tabellen eignen sich als Zwischenschritt zwischen Lesen und Schreiben hervorragend, wenn du beispielsweise verschiedene Positionen miteinander vergleichen möchtest.

In meinem eigenen Promotionsprojekt hat mir eine Tabelle in der folgenden Situation sehr geholfen:

Ich bin von Haus aus Sprachwissenschaftlerin und hatte mehrere Texte gelesen, in denen die Autorinnen und Autoren jeweils unterschiedliche Vorschläge gemacht haben, wie man sprachliche Konstruktionen systematisieren kann. Und diese verschiedenen Systematisierungen wollte ich in meiner Dissertation wiedergeben.

Nun könnte man in der eigenen Dissertation die verschiedenen Systematisierungen nacheinander wiedergeben.

Das habe ich auch in einem ersten Anlauf so gemacht.

Ich habe Autorin 1 gelesen und ihre Inhalte in meine Dissertation geschrieben.

Dann habe ich Autor 2 gelesen und seine Inhalte in meine Dissertation geschrieben.

Und dann Autorin 3.

Und so weiter.

So habe ich mich nach und nach durch die Literatur gearbeitet und parallel dazu gleich die Seiten meiner Dissertation gefüllt. Der Schreibprozess war dabei allerdings ziemlich nervig, denn ständig musste ich paraphrasieren und versuchen, neue Formulierungen zu finden.

Das Ergebnis war dann viel Text, aber qualitativ war es eher geht so… Es war halt eine Aneinanderreihung von Inhalten. Und nachträglich die Inhalte noch miteinander zu verknüpfen, war unglaublich schwierig.

Kurz gesagt: Ich hatte die typischen Probleme, die ich oben schon beschrieben habe. Es ging schleppend voran, mühsames Umformulieren, und das Ergebnis war mittelmäßig.

Dann habe ich es noch einmal anders probiert. Und zwar mit einer Tabelle als Zwischenschritt.

Von den Fachtexten ausgehend habe ich mir eine Tabelle angelegt, in der ich die unterschiedlichen Systematisierungen miteinander verglichen habe. Es war nicht geplant, dass diese Tabelle in meine Dissertation kommt. Eine Übersicht nur für mich.

Diese Übersicht war aber gar nicht so leicht zu erstellen, denn dafür musste ich richtig tiefgründig analysieren, wo nun die genauen Unterschieden zwischen den verschiedenen Systematisierungen liegen, was gleich ist, an welchen Stellen die verschiedenen Autorinnen und Autoren vielleicht nur unterschiedliche Begriffe für dieselben Phänomene verwendet haben usw.

Das Erstellen dieser Tabelle, dieser Zwischenschritt zwischen Lesen und Schreiben, hat mich tatsächlich mehrere Arbeitstage gekostet.

Es hat sich aber gelohnt, denn diese Übersicht hat zwei Dinge bewirkt:

  1. Ich habe eine viel größere Distanz zwischen die Fachtexte und meine eigene Dissertation bekommen.

  2. Ich konnte ein viel tieferes Verständnis der Inhalte erlangen. Ich konnte die Inhalte völlig durchdringen.

Nachdem ich mit der Tabelle fertig und mit meiner Auswertung der Literatur zufrieden war, habe ich einen neuen Anlauf gewagt, meinen eigenen Text zu schreiben.

Und dieser zweiten Anlauf lief ganz anders als der erste.

Im ersten Versuch (der, der eher geht so war) hatte ich vier Fachtexte vor mir liegen mit unterschiedlichen Ansichten zu einem Thema. Und mein Auftrag war, diese vier Ansichten in meine Dissertation einzuarbeiten.

Im zweiten Versuch aber hatte ich eine eigene Analyse von vier verschiedenen Systematisierungen vor mir liegen. Und mein Auftrag war nun, das Ergebnis dieser Analyse in meine Dissertation einzuarbeiten.

Der Text, denn ich dann im zweiten Anlauf geschrieben habe, war natürlich qualitativ um Welten besser als der erste.

Und ließ sich auch viel einfacher schreiben: Kein mühsames Paraphrasieren und Umformulieren von Fachtexten, kein stupides Aneinanderreihen von Autorinnen und Autoren.

Stattdessen die Präsentation des Ergebnisses meiner eigenen Auswertung der Fachliteratur.

Mit diesen Voraussetzungen schreibt man dann ganz automatisch in den berühmten eigenen Worten, denn man hat genügend Abstand von der Literatur.

Also, wenn es darum geht, mehrere Positionen aus der Literatur miteinander zu vergleichen, dann kann eine vergleichende Tabelle als Zwischenschritt sehr hilfreich sein.


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Concept-Map als Zwischenschritt

Ein anderer möglicher Zwischenschritt kann eine Concept-Map sein.

Man könnte dazu auch Gedankenlandkarte oder Begriffslandkarte sagen.

Concept-Maps stellen Wissensstrukturen ähnlich wie Mind-Maps vernetzt dar, sind in der Form aber freier, also nicht an die hierarchische Struktur von Mind-Maps gebunden.

Du kannst bei der Erstellung also ruhig kreativ werden – es gibt keine Regeln dafür, wie eine Concept-Map auszusehen hat.😉 Schreibe und zeichne ganz so, wie es sich für dich anbietet und wie es dir sinnvoll erscheint.

Concept-Maps sind ideal, um Wissensstrukturen aus Fachtexten zu visualisieren, weil man nicht an die lineare Ordnung eines Textes gebunden ist, sondern eben vernetzt denken und visualisieren kann. Du kannst auf diese Weise Zusammenhänge gut sichtbar machen.

Außerdem ermöglicht dir eine Concept-Map, mehrere Fachtexten miteinander in Verbindung zu bringen oder die Inhalte eines Fachtextes mit deinen eigenen Gedanken zu verbinden.

So könnte beispielsweise eine Concept-Map zu einem Phasenmodell des wissenschaftlichen Schreibprozesses aussehen (Notizen in schwarz), in der außerdem schon eigene Gedanken (in grüner Schrift) zum Phasenmodell hinzugefügt wurden:

Concept-Map

Eine Concept-Map kann zum Beispiel auch dann sehr hilfreich sein, wenn du eine Theorie aus der Fachliteratur durchdringen und in deiner Dissertation wiedergeben möchtest.

Häufig ist es ja so, dass sich ein Theoriegebäude aus vielen einzelnen Teilen, die in unterschiedlichen Fachtexten beschrieben werden, zusammensetzt. In einer Concept-Map kannst du diese Inhalte zusammenführen und für dich aufarbeiten.

Durch das Erstellen einer Concept-Map als Zwischenschritt gewinnst du zwangsläufig eine gewisse Distanz zu den Fachtexten, denn im ersten Schritt musst du ja die Informationen aus den Fachtexten extrahieren und auf einzelne Begriffe herunterbrechen.

Durch die visuelle Strukturierung und Aufarbeitung der Inhalte durchdringst du diese tief, förderst dein Verständnis des Themas und gelangst zum Wesentlichen, zu den zentralen Inhalten, zum Kern.

Wenn du dann deinen eigenen Text schreibst, nachdem du schon eine Concept-Map erstellt hast, dann geht es nicht darum, bestimmte Fachtexte wiederzugeben.

Nein, du versprachlichst deine Concept-Map.

Du versprachlichst dein Verständnis des Themas. Oder auch: deine Adaption des Themas passend zum roten Faden deiner Dissertation. In deinen eigenen Worten.

Fazit

Wenn es dir – so wie vielen Promovierenden – schwer fallen sollte, vom Lesen ins Schreiben zu kommen, dann könnte das daran liegen, dass du zu wenig Distanz zu den Fachtexten, mit denen du arbeitest, hast.

Die Lösung dieses Problems besteht darin, bewusst Zwischenschritte einzubauen.

Ein Zwischenschritt könnte darin bestehen, eine Tabelle anzulegen, in der du verschiedene Positionen aus der Forschungsliteratur miteinander vergleichst.

Ein anderer Zwischenschritt könnte eine Concept-Map sein, in der du Informationen vernetzt und strukturiert visualisierst.

Natürlich sind noch viele andere Arten von Zwischenschritten denkbar.

Vielleicht möchtest du ein Flussdiagramm erstellen. Oder dir reicht es schon aus, ein paar Stichpunkte aufzuschreiben, auf diese Art Distanz zum Fachtext zu gewinnen und auf Basis dieser Stichpunkte dann deinen eigenen Text zu verfassen.

Vielleicht fällt dir auch noch etwas anderes ein, was für dich in deiner Situation gut klappt.

Wie auch immer deine Zwischenschritte aussehen – nimm dir die Zeit dafür (auch, wenn es im ersten Moment nach viel zusätzlicher Arbeit aussieht), denn du wirst leichter vom Lesen ins Schreiben kommen und die Qualität deiner Texte verbessern.

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