Promotionskrisen bewältigen
Jede Promotion hat ihre Höhen und Tiefen. Mal bist du begeistert von deinen innovativen Gedanken – mal zweifelst du an dem, was du bislang produziert hast. Mal setzt du dich motiviert an den Schreibtisch – mal prokrastinierst du den halben Tag.
Alles ganz normal.
Manchmal zieht sich eine Tiefphase leider aber über Wochen oder sogar Monate hin und du steckst in einer waschechten Promotionskrise.
In diesem Blogbeitrag stelle ich dir basierend auf einem Artikel von Fiedler & Hebecker (2021) die drei typischen Krisen im Promotionsverlauf vor. Und erläutere dir, wie du diese Krisen erfolgreich bewältigen kannst.
Drei typische Krisen im Promotionsverlauf
Eine Promotion ist ein ständiges Auf und Ab. Wenn das “Ab” allerdings überhand nimmt und du das Gefühl hast, dass alles seit geraumer Zeit nur noch schlecht läuft, dann haben wir es mit einer Promotionskrise zu tun.
Werner Fiedler und Eike Hebecker haben jahrelang Promovierende, die Stipendiat*innen der Hans-Böckler-Stiftung sind, betreut und konnten dabei beobachten, dass viele von ihnen drei typische Krisen während ihres Promotionsverlaufs bewältigen müssen. Ihre Erkenntnisse haben sie an verschiedener Stelle publiziert; u. a. im GEW-Handbuch “Promovieren mit Perspektive”.
Im Folgenden stelle ich dir diese drei typischen Krisen vor.
Los geht’s.
#1 Die Materialkrise
Zu Beginn der Promotionszeit sind die meisten Doktorand*innen noch richtig gut gelaunt: Sie starten voll motiviert, interessiert am eigenen Thema und begeistert von der neuen Rolle als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler in die Promotionszeit.
Ein neuer spannender Lebensabschnitt beginnt!🤗
Während dieser Anfangsphase steht natürlich die Einarbeitung in das Promotionsthema auf dem Plan (mehr zu den verschiedenen Phasen von der Idee bis zur Doktorarbeit kannst du hier erfahren).
Also los geht’s: Literatur recherchieren und lesen, lesen, lesen.
Begeistert durchsuchst du die Bibliothek – und schleppst mehr Bücher nach Hause als gut für deinen Rücken ist.
Du stürzt dich in die Recherche in elektronischen Fachdatenbanken – und hast innerhalb von 15 Minuten 30 Paper gefunden, die für dein Thema hochrelevant zu sein scheinen.
Das Literaturverwaltungsprogramm füllt sich mit Titeln, die alle noch gelesen werden müssen.
Auf dem Schreibtisch stapeln sich Bücher und Paper.
In jedem Paper, das du liest, findest du Verweise auf fünf neue Paper, die du noch lesen solltest.
Mit jeder Frage, die du für dich beantwortest, tun sich drei neue Fragen auf. Für die du natürlich noch mehr Literatur recherchieren musst.
Es nimmt kein Ende.
Puh.
Langsam schleicht sich der Gedanke ein, dass das alles irgendwie ganz schön viel ist.
Ganz schön viel zu lesen.
Ganz schön viel auszuwerten.
Ganz schön viel zu verstehen.
…
Egal zu welchem Thema du promovierst: Ich behaupte, jede Doktorandin und jeder Doktorand sieht sich zu Beginn der Promotionszeit mit einer fast unüberschaubaren Fülle an Literatur und an bereits vorhandenen Forschungsergebnissen konfrontiert.
Und an diesem Punkt erleben viele Promovierende die erste Krise ihrer Promotionszeit.
Fiedler & Hebecker (2021: 283) nennen diese Krise die “Materialkrise”.
Es. ist. einfach. viel. zu. viel.
🤯
Die Dissertation wächst dir über den Kopf.
Wie du diese Krise bewältigen kannst
Um den Kopf endlich wieder über Wasser zu bekommen und dich aus der Materialkrise zu befreien, kannst du Folgendes tun (vgl. Fiedler & Hebecker 2021: 283, 288):
Präzisiere deine Fragestellung und grenze dein Promotionsthema stark ein:
Wenn du dich in einer Materialkrise wiederfindest, dann ist das ein guter Zeitpunkt, um sich kritisch zu fragen, ob das Promotionsthema noch stärker eingegrenzt werden muss und die eigene Forschungsfrage nicht doch noch präziser formuliert werden sollte. Vielleicht bist du mit einem zu breiten Thema gestartet und musst nun noch einmal nachjustieren.
Das kommt tatsächlich sehr häufig vor.
Doktorarbeiten gehen in die Tiefe – und zwar viel, viel, viel stärker als Masterarbeiten. Wie tief man für eine Dissertation in ein wissenschaftliches Thema eintaucht und wie viel Arbeit daher sogar mit klein wirkenden Themen verbunden ist, lässt sich deshalb vorher nur schwer antizipieren.
Lerne, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden:
Welche Texte sind wirklich zentral für dein Forschungsvorhaben und welche berühren dein Thema eher nur peripher?
Versuche, die Forschungsliteratur nach Relevanz zu sortieren und beschäftige dich zunächst nur mit den Texten, die hochrelevant für deine Fragestellung sind. Lass alles andere erstmal weg. Es gibt trotzdem genug für dich zu tun.😉
Beginne früh mit deiner eigenen Forschung:
Ein Fehler, den viele Promovierende machen, ist, zu lange in der Theoriearbeit zu bleiben und die Durchführung der eigenen Forschung immer weiter hinauszuzögern.Die Folge: Man läuft Gefahr, sich in theoretischen Gedankenspielen zu verirren und den Fokus auf das eigene Forschungsvorhaben zu verlieren.
Es ist stattdessen empfehlenswert, die Phasen “Literaturarbeit” und “eigene Forschung” nicht strikt zu trennen, sondern sich eher begleitend zur eigenen Forschung mit der Literatur zu beschäftigen (mehr zu den Phasen des wissenschaftlichen Schreibprozesses erfährst du hier).
Beginne früh mit dem Schreiben:
Das Schreiben ist Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und sollte dich von Beginn deiner Promotion an begleiten. Durch Schreiben sortierst du deine Gedanken, du durchdringst Themen, findest Strukturen und stärkst deine Stimme als Wissenschaftler*in. All das hilft dir, um dich nicht im Material-Dschungel zu verlieren.
Natürlich sollst du nicht auf Anhieb druckreife Texte produzieren – empfehlenswert ist beispielsweise, ein Forschungstagebuch zu führen oder ein Zero Draft anzulegen.
In meinen Schreibberatungen habe ich es tatsächlich oft mit Promovierenden in der Materialkrise zu tun. Gemeinsam präzisieren wir dann Forschungsfragen, finden Strukturen im vorhandenen Material, priorisieren Aufgaben und optimieren den individuellen Schreib- und Arbeitsprozess.
#2 Die Relevanzkrise
Während die Materialkrise meist eher früh im Promotionsverlauf auftritt, zeigt sich die sogenannte “Relevanzkrise” (Fiedler & Hebecker 2021: 284) zu einem späteren Zeitpunkt – wenn du schon eigene Forschungsergebnisse produziert hast und sich das inhaltliche Gerüst deiner Dissertation immer mehr klärt.
Deine Dissertation ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur ein Gedankenkonstrukt, sondern nimmt in der Realität eine immer stärkere Form an. Es wird langsam absehbar, was für eine Arbeit du schreibst.
Deine Dissertation wird greifbar.
Und damit auch für einige – manchmal eher unangenehme – Fragen zugänglich:
Ist meine Dissertation gut genug?
Sind meine Forschungsergebnisse überhaupt interessant und relevant?
Viele Promovierende stellen sich früher oder später Fragen dieser Art. Und um diese Fragen beantworten zu können, geht das große Vergleichen los:
Du vergleichst deine Arbeit mit den wissenschaftlichen Publikationen, die du liest.
Und du vergleichst deine Arbeit mit deinem Gedankenkonstrukt, mit deiner Idealvorstellung von deiner Dissertation.
Leider gehen diese Vergleiche häufig nicht gut aus.
Im ersten Fall vergleichst du einen Rohdiamanten mit einem geschliffenen, fertigen Schmuckstück, das bereits auf die Augen der Öffentlichkeit vorbereitet wurde.
Und im zweiten Fall vergleichst du ein Ideal mit dem, was in der Realität tatsächlich machbar ist.
Das Ergebnis dieses Vergleichens kann dann leider eine ausgewachsene Sinnkrise sein.
Wie du diese Krise bewältigen kannst
Um aus der Relevanzkrise wieder herauszufinden, kannst du Folgendes tun (vgl. Fiedler & Hebecker 2021: 284, 289f.):
Lerne, Anforderungen in realistische Arbeitsschritte zu übersetzen:
Egal ob eigene Anforderungen oder Fremdanforderungen: Spätestens in dieser Phase der Promotion muss man realistisch werden. Und dazu gehört, überzogene Ansprüche abzuwehren und Abstriche zu machen.
Schau dir die Ziele deiner Dissertation genau an und versuch, diese in konkrete Arbeitsschritte zu übersetzen. Dabei wird häufig deutlich, was wirklich machbar ist und was einfach nicht zu leisten ist.
Von diesen nicht-erfüllbaren Ansprüchen darfst du dich verabschieden.
Geh mit deiner Forschung regelmäßig in die Fachöffentlichkeit:
Interne Kolloquien, Tagungen, internationale Konferenzen, Vorabveröffentlichungen ausgewählter Forschungsergebnisse, Gespräche mit Expert*innen – nutze die Fachöffentlichkeit zu deinem Vorteil.
Wenn du dir während deines Promotionsverlaufs systematisch Rückmeldungen aus der Fachöffentlichkeit zu deinen Zwischenergebnissen einholst, wirst du mehr und mehr Sicherheit gewinnen. Gleichzeitig besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass du durch das Feedback von Expert*innen Fehler revidieren und die Qualität deiner Arbeit verbessern kannst.
Und ein weiterer großer Vorteil: Im Austausch mit anderen wirst du schnell merken, dass alle nur mit Wasser kochen.😉
#3 Die Abschlusskrise
Es kommt immer wieder vor, dass Promovierende, die schon sehr weit mit ihrer Dissertation sind, einfach nicht fertig werden. Es fehlt eigentlich nicht mehr viel – und trotzdem zieht sich das Projekt manchmal noch über Jahre.
Falls es dir auch so geht, steckst du womöglich in einer “Abschlusskrise” (Fiedler & Hebecker 2021: 285).
Was steckt dahinter?
Nach Fiedler & Hebecker (2021: 285) spielt hier vor allem die Unsicherheit über die Zeit nach der Promotion eine große Rolle.
Der Status als Promovierende*r ist besonders: Man ist zwar kein*e Student*in mehr, aber auch noch nicht im Kreis der etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angekommen. Man befindet sich in einem Zwischenzustand, der völlig offen lässt, was danach kommt.
Wie es weitergeht, muss also aktiv geklärt werden.
Möchtest du eine akademische Laufbahn verfolgen? Wenn ja, welche beruflichen Stationen wären sinnvoll für die Postdoc-Phase?
Möchtest du den Berufseinstieg in den Arbeitsmarkt außerhalb der Uni schaffen? Wenn ja, wo bewirbst du dich?
Steht vielleicht mit der beruflichen (Neu-)Orientierung ein Umzug an?
Wie lässt sich all das mit der Familie vereinbaren?
…
Außerdem ist mit der Abgabe der Dissertation natürlich eine Prüfungssituation verbunden: Deine Dissertation wird begutachtet und du wirst sie in einem Rigorosum oder einer Disputation verteidigen müssen.
Auch das kann Angst machen und den Abschluss hinauszögern.
Wie du diese Krise bewältigen kannst
Nach Fiedler & Hebecker (2021: 285f.) – und das deckt sich mit meiner Erfahrung – muss vor allem die innere Einstellung reifen, dass du deine Dissertation abgeben möchtest.
Eine Dissertation wird nie fertig sein – du musst sie für fertig erklären.
Dieser innere Reifeprozess kann dir von niemandem abgenommen werden. Um das Reifen dieser inneren Einstellung zu fördern, kann dir aber Folgendes helfen:
Mach dir frühzeitig über deine Perspektive nach der Promotion Gedanken:
Beschäftige dich bewusst mit dem, was nach der Promotion kommt. Wenn du merkst, dass das Gedanken sind, die du lieber aufschiebst, dann sieh genau hin: Hast du schon eine Vorstellung von deinem Leben nach der Dissertation? Wie können einzelne Schritte in Richtung deiner Wunschvorstellung aussehen?
Wenn es dir alleine schwer fällt, eine Perspektive zu entwickeln, dann informiere dich über Beratungsangebote zur Karriereplanung. Viele Unis bieten so eine Beratung kostenfrei an.
Mach dich mit der bevorstehenden Prüfungssituation vertraut:
Schau dir deine Promotionsordnung an und informiere dich über die einzelnen Schritte des Prüfungsverfahrens. Mach dir einen Plan mit allen Aufgaben, die anstehen: Wie viele Exemplare der Dissertation müssen wo abgegeben werden? Welche Formblätter müssen ausgefüllt und unterschrieben werden? Was muss für die Disputation/das Rigorosum geplant und vorbereitet werden? etc.
Disputationen und Rigorosa sind in der Regel hochschulöffentliche Veranstaltungen – du kannst dich also als Zuhörer*in in Prüfungen an deiner Uni mit reinsetzen und so schon einmal einen Eindruck von dem Ablauf und dem Charakter einer solchen Prüfung bekommen.
Und zu guter Letzt: Mach dir vor der Prüfung bewusst, dass du die Expertin bzw. der Experte für dein Promotionsthema bist. Es gibt niemanden, der oder die sich so gut mit deinem Material auskennt wie du.🙂
Fazit
Jede Promotion geht natürlich mit individuellen Herausforderungen einher. Die drei Promotionskrisen nach Fiedler & Hebecker (2021) sind aber ganz typisch für den Promotionsverlauf.
Wichtig ist: Es gibt Auswege aus diesen Promotionskrisen.💚
Und – sie sind eine riesige Chance für persönliches Wachstum.
Fiedler & Hebecker (2021: 286) halten fest: “Generell lässt sich sagen, am Ende eines solchen Prozesses haben wir es mit einem anderen Menschen als zu Beginn des Prozesses zu tun.”
Quelle
Fiedler, Werner & Eike Hebecker (2021): Promotionskrisen und ihre Bewältigung. In: Dülcke, Dana et al. (Hrsg.), Promovieren mit Perspektive. Das GEW-Handbuch zur Promotion. 3. Auflage. Bielefeld: wbv Publikation. S. 281-293.
Diese Blogartikel könnten dich auch interessieren:
33 Wege, mit denen du Schreibblockaden effektiv löst – die Megaliste für deine Dissertation
Stress während der Promotion: 4 typische Stressauslöser und was du gegen sie tun kannst
Promotion abbrechen oder durchhalten? Eine Entscheidungshilfe bei Krisen mit der Doktorarbeit
Schluss mit Aufschieben: 3 Tipps gegen Prokrastination beim Promovieren